Das EuG hat am 12. Juni 2014 sein Urteil zur Intel-Entscheidung der Kommission veröffentlicht. Die Rechtssache Intel hatte das Zeug dazu, ein landmark case zu werden.
Erstmalig hat die Kommission in ihrer Entscheidung vom 13. Mai 2009 den equally efficient competitor-Test auf ein Rabattsystem angewendet. Bei dem Test werden die Kosten und die Preise eines Produktes miteinander verglichen. Wenn die Preise eines marktbeherrschenden Unternehmens nicht kostendeckend sind, spricht das für einen preisbezogenen Behinderungsmissbrauch. Referenzmaßstab für die Kostenermittlung ist dabei ein hypothetischer Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens, der ebenso effizient wie das marktbeherrschende Unternehmen ist, aber nicht über dessen Marktmacht verfügt.
Nun ist es so gekommen, wie es viele Kommentatoren vorhergesagt haben: Das EuG verzichtet darauf, inhaltlich zu der Prioritätenmitteilung der Kommission Stellung zu nehmen. Die entscheidenden Fragen zur zukünftigen Anwendung des equally efficient competitor-Tests beantwortet das EuG nicht.
Im Folgenden werden die Ausführungen des EuG zum EEC-Test (Rdnr. 140-160 des Urteils) dargestellt und bewertet.
Drei Kategorien von Rabattsystemen
Zunächst greift das EuG die Klassifizierung aus Michelin I auf (Rdnr. 82-84). Rabattsysteme können demnach in drei Kategorien eingeteilt werden:
- Die erste Kategorie bilden reine Mengenrabatte. Diese sind grundsätzlich unbedenklich. Es bedarf somit keiner genauen Untersuchung der Rabattgewährung.
- Als zweite Kategorie nennt das EuG sog. Exklusivrabatte. Diese sind mit einer Ausschließlichkeitsbindung vergleichbar. Der Rabatt wirkt so, dass es für den Abnehmer unattraktiv ist, auch nur einen geringen Teil seiner Nachfrage bei einem Wettbewerber des Rabattgebers zu beziehen. Exklusivrabatte sind nach Auffassung des EuG stets missbräuchlich. Dadurch erübrige es sich auch hier, die genauen Umstände der Rabattgewährung zu untersuchen. Bei Exklusivrabatten sei also kein EEC-Test und auch sonst keine sonstige Prüfung der Verdrängungsfähigkeit des Rabattes erforderlich (Rdnr. 143).
- Anders verhält sich die Situation bei Rabattsystemen der dritten Kategorie. Diese sind weder exklusiv noch rein mengenbezogen und bedürfen einer umfassenden Untersuchung.
Der EuGH begnügt sich in seiner Rechtsprechung mit qualitativen Kriterien
Das EuG beschäftigt sich im Anschluss mit der Frage, wie Rabattsysteme der dritten Kategorie zu prüfen sind. Es reflektiert die Judikatur des EuGH (vornehmlich Michelin I und Tomra) und kommt zu dem Schluss, dass nach dem EuGH keine quantitative Analyse der Rabattgewährung notwendig sei (Rdnr. 144 ff. sowie Rdnr. 153). Um einen Marktmachtmissbrauch festzustellen, genüge der Nachweis, dass von dem Rabatt eine Treuewirkung ausgeht.
Der Nachweis einer Treuewirkung könne mittels qualitativer Kriterien ausreichend geführt werden. In der Rechtsprechung des EuGH finden sich ganz unterschiedliche derartige Kriterien. Zu nennen sind etwa
- individuell an die vermuteten Umsätze des Handelspartners angepasste Rabattschwellen,
- Rabattgewährung nur unter der Voraussetzung einer Steigerung des Umsatzes gegenüber der vorangegangenen Referenzperiode,
- große Sprünge in der Rabattstaffel,
- rückwirkende Rabattgewährung,
- lange Referenzzeiträume für die Berechnung des Rabatts,
- Gruppenverpflichtungsrabatte,
- Intransparenz des Rabattsystems,
- Selektivität des Rabattsystems oder auch
- englische Klauseln.
[Siehe Münchner Kommentar zum europäischen und deutschen Kartellrecht, Band 1: Europäisches Wettbewerbsrecht, Art. 102 AEUV, Bien/Eilmansberger, 2. Aufl., im Erscheinen, Rdnr. 572.]
Nach Auffassung des EuG bedarf es hingegen bei schlichten Kampfpreisen und Kosten-Preis-Scheren einer Untersuchung der quantitativen Kriterien. Diese Missbrauchsformen seien nur dadurch nachzuweisen, dass Preise und Kosten verglichen werden (Rdnr. 152).
Bemerkenswert ist auch, dass das EuG explizit formuliert, dass der EEC-Test keinen safe harbour für Rabattsysteme bereitstellen könne (Rdnr. 151):
Even a positive AEC test result would not be capable of ruling out the potential foreclosure effect which is inherent in the mechanism described in paragraph 93 above.
Damit kann ein Test lediglich die Argumentation der Kommission stärken. Dagegen entfaltet er als Argument für die Verteidigung des marktbeherrschenden Unternehmens kaum Wirkung. Außerdem bietet er ex ante dem rabattgewährenden Unternehmen keinerlei Rechtssicherheit, selbst wenn es in der Lage wäre, die Berechnungen der Kommission vorherzusehen.
Die Prioritätenmitteilung findet keine Anwendung
Bereits die Kommission hat in der Intel-Entscheidung festgestellt, dass ihre Prioritätenmitteilung auf den vorliegenden Sachverhalt noch nicht anwendbar sei und sie den Test nur vollständigkeitshalber durchführe (Rdnr. 916). Das EuG bestätigt diese Auffassung (Rdnr. 154 ff.).
Damit bleibt letztlich offen, ob der Test zukünftig bei Rabattsystemen der dritten Kategorie anwendbar ist. Das Fallrecht sieht das zwar nicht vor, wie das EuG in dem Urteil nochmals sehr deutlich klarstellt. Die „Selbstbindung“ der Kommission durch die Prioritätenmitteilung könnte jedoch dafür sorgen, dass der Test bei zukünftigen Entscheidungen notwendig wird.
Rechtlicher Anknüpfungspunkt könnte gerade der europarechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes sein, den das EuG in Rdnr. 160 ff. diskutiert. In Bezug auf die Intel-Entscheidung stellt das EuG fest, dass durch die Aussagen zur Relevanz des Tests, welche die Kommission im Umfeld der Entscheidung getroffen hat, kein schützenswertes Vertrauen entstehe. Die Kommission habe keine explizite Zusage gegeben, dass der Test notwendig für den Nachweis eines missbräuchlichen Verhaltens gewesen sei.
Durchaus denkbar erscheint hingegen, dass die Prioritätenmitteilung ausreichend klar und konkret ist, um schützenswertes Vertrauen zu begründen. Bei zukünftigen Entscheidungen zu Verhaltensweisen, die nach Veröffentlichung der Prioritätenmitteilung stattgefunden haben, könnten sich Unternehmen möglicherweise erfolgreich auf die dortigen Ausführungen berufen. Dies würde bedeuten, dass der EEC-Test bei Rabattsystemen der dritten Kategorie doch noch zur notwendigen Voraussetzung wird.
Per Rummel ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl von Professor Bien, Universität Würzburg. Seine Dissertation „Rechtssicherheit bei der Anwendung des equally efficient competitor-Tests“ wird im Herbst dieses Jahres erscheinen.
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